am Samstag, den 29. Juni 2019 war es endlich soweit. Der Tag war gekommen, um den schon länger geplanten Selbstversuch HOFFE 312 (Dialektform für Hoffenheim 312) endlich in die Tat umzusetzen. Ich wollte für mich herausfinden und am eigenen Leib spüren, ob und wie sich mentale Stärke/Schwäche aufgrund schwieriger äußerer Umstände auf meine körperliche Leistungsfähigkeit auswirkt. Auf der Agenda stand, einen Rundkurs von 1,7 Kilometern Länge mit ca. 30 Höhenmetern hier in Hoffenheim so lange mit dem Rad zu umrunden, bis eine Gesamtstrecke von 312 Kilometern auf meinem Garmin abzulesen war. Das sind durchaus schwierige äußere Umstände. Man muss schon etwas verrückt sein, um so etwas zu machen. Naja, normal kann jeder ;-). Ich fahre schon seit mehreren Jahren jeweils Anfang August einen Radmarathon von über 300 Kilometern in 11,5 Stunden. Physisch bin ich also in der Lage, eine solche Distanz zu absolvieren. So weit und vor allem alleine auf einer sehr kurzen Runde ständig "im Kreis" zu fahren, ist allerdings eine andere Hausnummer. Mir war sehr schnell klar, in 11,5 Stunden wird das nicht realisierbar sein. Dennoch hatte ich zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Zweifel, es körperlich nicht zu schaffen. Selbst wenn ich öfter das Rad wechseln würde. Mich quasi immer wieder an eine andere Rahmengeometrie gewöhnen muss. Zur Auswahl standen mein TREK Madone 4.7 und mein Abrecht Cyclo Cross Bike. Ein in der Tat spürbarer Unterschied in der Rahmengeometrie. Die eigentliche Herausforderung lag somit nicht auf der Streckenlänge, sondern in der Fähigkeit, sehr lange (312 Kilometer) im "Kreis" zu fahren und dabei mental stark zu bleiben. Eine wirklich große Herausforderung, wie sich später noch herausstellen würde.
Aber warum ausgerechnet 312 Kilometer? Kennt Ihr Mallorca 312? M312 ist einer der schönsten Radmarathons weltweit. Bis vor wenigen Jahren führte dieser Radmarathon auf abgesperrten Straßen einmal ringsum die Radsportinsel Mallorca mit einer Gesamtlänge von 312 Kilometern. Auch wenn sich die Streckenführung mittlerweile verändert hat, der feste Bezug zu diesem Radsportevent der Extraklasse war hergestellt. Das sollte mir mental helfen. Hoffenheim ist allerdings keine Insel und hat auch nicht die Größe von Mallorca. Ich wählte also einen Rundkurs innerhalb von Hoffenheim, auf dem wenig Autoverkehr herrschte und der nötige Support (Essen, Getränke etc.) möglich war. Dieser Rundkurs führte auf jeder Runde einmal am Haus meines Cousins Ralf vorbei. Dort konnte ich Pausen machen, mich versorgen und auch mein Equipment deponieren.
Im Vorfeld war nur Ralf über diese verrückte Idee informiert und der meinte nur: "Reiner, jetzt bist du völlig durchgeknallt. Um herauszufinden, wie und ob sich mentale Stärke/Schwäche bei stupidem "im Kreis fahren" auf die körperliche Leistung auswirkt, dafür reicht doch auch eine deutlich kürzere Strecke. Ähm und übrigens denk dran, du bist ein alter Mann :-). Dennoch glaube ich an dich (er weiß, wie verrückt ich in Sachen Radsport bin). Wenn du das tatsächlich machen willst, dann hast du meinen Support." Klar wollte ich das machen. Natürlich bin ich ein alter Mann, aber eine kürzere Strecke von z.B. um die 100 - 150 Kilometern wäre für dieses Vorhaben nur bedingt geeignet gewesen. Warum? Ich bin seit mittlerweile über 35 Jahren radsportlich aktiv (siehe "Über mich"). Lebenskilometer auf dem Rad, die also nicht unerheblich sind. Daraus resultierend habe ich eine sehr gute Grundlagenausdauer. Auch mein regelmäßiges, abwechslungsreiches Ausdauer- und Krafttraining, trägt dazu bei, dass es bei mir recht lange dauert, bis mein Körper auf dem Rad muskulär an seine Grenzen kommt. Ist die Saison etwas fortgeschritten, beginnt bei mir die muskuläre Ermüdung normalerweise so im Bereich von ca. 120 - 150 Kilometern je nach Tagesform. Das bedeutet aber noch lange nicht, daß ich aufhören muss. Hätten dann 200 oder 250 Kilometer nicht auch gereicht, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen? Vermutlich schon, aber nein, es sollten 312 Kilometer sein. Ich wollte mich so oft wie möglich an diesen tollen Radmarathon auf Mallorca erinnern, den ich 2019 krankheitsbedingt leider nicht komplett finishen konnte :-(. Also ran an den Speck: Go big or go home!
Ein bisschen Werbung in meinem Bekanntenkreis könnte auch nicht schaden, dachte ich mir. Das würde sicherlich den Druck noch ein wenig erhöhen, es durchzuziehen. Eventuell hat ja auch jemand Zeit und Lust, mich auf einigen Runden zu begleiten. Jede Unterstützung, ob auf dem Rad, an der Strecke oder durch Verpflegung, würde mich meinem Ziel ein wenig näher bringen. Also informierte ich sehr kurzfristig per WhatsApp einen ausgesuchten Kreis in meinem Umfeld. Tatsächlich meldeten sich auch einige zurück, dass sie vorbeikommen würden :-).
Am Tag zuvor hatte ich bereits beide Räder zu Ralf gebracht und die nötige Verpflegung sowie die Getränke zusammengepackt. Getreu dem Motto: " Lieber zu viel, als zu wenig" war mein Berlingo bis unters Dach vollgeladen, hauptsächlich mit Getränken. An diesem letzten Juniwochenende 2019 sollte es wettertechnisch nämlich alles andere als angenehm werden. Für den 29. Juni waren Temperaturen von über 30° gemeldet.
Am Samstagmorgen pünktlich um 10 Uhr fiel wie geplant der Startschuss. Ich wollte die Gesamtstrecke inkl. aller Pause so schnell wie möglich zurücklegen. Da es schwer einzuschätzen war, wie lange ich letztendlich brauche, hatte ich auf alle Fälle geplant, auch in der folgenden Nacht noch auf dem Rad sitzen.
Nachdem sich mein letzter Mitfahrer um kurz nach 17.30 Uhr verabschiedet hatte, machte ich die nächste längere und wohlverdiente Verpflegungspause, wechselte zurück auf das Madone 4.7 und weiter gings. Ab diesem Zeitpunkt kam die Einsamkeit zurück. Das sollte bis zum Ende auch so bleiben. Ich drehte Runde um Runde. Legte dabei aber auch drei weitere kurze Päuschen ein. Die Kilometerzahl erhöhte sich in diesen nächsten Stunden auf ca. 170 Kilometer. Um ca. 21 Uhr stand dann die letzte etwas längere Ruhephase an. In der Nacht wollte ich mir nur noch einige sehr kurze Auszeiten gönnen. Deshalb war es wichtig, sich nochmal ordentlich zu verpflegen, bevor die Sonne am Horizont verschwand. Bei dieser Gelegenheit wechselte ich wieder auf den Crosser, mit dem ich sicher durch die Nacht fahren wollte.
Mein Fazit zu diesem interessanten Selbstversuch:
GUT, dass ich es gemacht habe, auch wenn ich abgebrochen habe. Eine Erfahrung, die ich nicht mehr missen möchte. Der mentale Zustand wirkt sich schon auf die Leistung aus, aber nur bedingt. Bei mir ist es eher die Motivation, die durch die schlechter werdenden Umstände (Nacht, alleine fahren etc.) immer geringer wird und dann letztendlich für den Abbruch eines solchen Projektes verantwortlich ist. Final bin ich aber weiterhin der Meinung, ein Vorhaben in dieser Form ist zu schaffen. Man muss nur sehr viel besser planen, besser vorbereiten und sollte auch nicht alleine fahren.
Ich werde es mittelfristig also nochmal versuchen. In welcher Form auch immer. Seid gespannt!
Kette rechts
Reiner
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